PIEK führt regelmäßig Gespräche mit führenden Personen auf dem Gebiet des digitalen Zusammenlebens. Vor kurzem war Dr. Kathleen Gabriels, Universität Maastricht, unser Gesprächspartner. Dr. Gabriels ist Programmdirektor des Studienganges Digital Society.

Als erstes wollte PIEK mehr über die Person Dr. Gabriel wissen: „Ausgebildet bin ich als Germanistin und Philosoph. Danach habe ich eine weitere Ausbildung abgeschlossen. Meine Forschung befasste sich mit dem Thema „second life“ und den ethischen Aspekten von „things“. Ich beschäftige mich mit „Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz = KI)” und untersuche momentan die Frage, inwieweit man Moralität in einer Maschine programmieren kann. Ich habe auch ein Buch über die ethischen Aspekte der KI veröffentlicht.“
PIEK: Kann man Moralität programmieren? Dr. Gabriels: „Es gibt viele gute Erfolge in der medizinischen Urteilsformung. Wir haben Algorithmen trainiert mit 130000 Fotos von Hautkrebs oder Melanomen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die Algorithmen genau so gut waren wie erfahrende Dermatologen. Vergleichbare Resultate gibt es für Schluck- und Brustkrebs. Und es gibt Krankenhäuser, die schon jetzt Künstliche Intelligenz nutzen um Gewebeproben bei Brustkrebs zu untersuchen.”

PIEK: Du bist Programmdirektor für einen neuen Studiengang an der Universität von Maastricht. Kannst du uns mehr über das Studium erzählen? Ist es nur für junge Leute oder auch für Erwachsene? Dr. Gabriels: „Das Studium gibt es seit 2019 und ist als interdisziplinäres Studium aufgebaut. Das heißt, es ist eine Mischung von Human- und Datenwissenschaft. Studenten lernen Statistik, aber auch Ethik in und mit allen Aspekten der Gesellschaft ist Thema in vielen Fächern. Unser Ziel ist die Ausbildung von Brückenbauern, das heißt, Menschen mit Fokus auf Technik und gleichzeitig sozialen Aspekten der Gesellschaft. Wir haben Studenten, die mehr auf Technik fokussiert sind, aber auch sie beschäftigen sich mit ethischen Themen wie innerhalb der “Smart City“. Unsere Studenten absolvieren auch Praktika. Meistens müssen sie keinen Praktikumsplatz suchen, denn sie sind sehr gefragt. Wir haben nicht den Standardtypen Student. Das Studium ist interdisziplinär und Studenten müssen breit interessiert und aufgeschlossen sein. Philosophie gehört auch zum Lehrstoff. Für Erwachsene wird das Studium noch nicht angeboten.“

PIEK: Eben wurde „Smart city“ genannt. Was können wir uns darunter vorstellen? Dr. Gabriels: „Immer mehr Objekte sind über das Internet miteinander verbunden. Ein Beispiel ist Tesla. Mithilfe von Kamerainformationen kann in Kombination mit Bewegungen von Mobiltelefonen schnell festgestellt werden, wo Staus stehen. Verkehrsinformationen werden so immer aktueller. Ein anderes Beispiel sind die Apps, die als Einparkhilfen dienen. Dann gibt es die Sensoren in Müllcontainern, die warnen wann der Container fast voll ist.

In Eindhoven werden mithilfe künstlicher Intelligenz Bewegungen von Besuchern von Fußballspielen analysiert. Durch die Analysen können Ausschreitungen vorhergesagt werden. Die Stadt Maastricht will die Logistik von Zulieferern in der Innenstadt optimieren. Eine App soll dabei helfen und im Voraus angeben, wann der beste Zeitpunkt für eine Lieferung in die Innenstadt ist.
Die Zukunft sehen wir folgendermaßen: In deinem Kalender steht ein Termin mit Uhrzeit. Dein Kalender kommuniziert mit deinem Wecker und weckt Dich pünktlich. Und wenn du aufgestanden bist, steht der Kaffee bereit. Und gibt es auf deiner Strecke einen Stau, weckt dich Dein Wecker automatisch früher. Das geht noch weiter.”

PIEK: Dann kommen wir jetzt zu den ethischen Aspekten. Die Maschine bestimmt und plant unseren Tag. Werden wir dann nicht auch programmiert? Dr. Gabriels: „Wir werden immer abhängiger von Technologie. Schau nur auf den Pflegesektor. In der westlichen Welt steigt die Vergreisung. Wir brauchen stets mehr Pflegepersonal und der Druck nimmt zu. Aber es sind immer weniger Menschen, die in der Pflege arbeiten. Intelligente Technologie kann helfen und die Nachfrage steigt. Ein Beispiel ist „Ageing in Place“ (so lang wie möglich Zuhause wohnen). Sensoren werden auf bestimmten Objekten platziert. Daraus kann man Muster ableiten. Das Pillendöschen hat einen Sensor und mithilfe eines programmierten Codes wird der Nutzer an die Einnahme der Medikamente erinnert. Bewegungsmelder zeigen an, ob sich die betreffende Person im Haus bewegt etc. Werden über einen längeren Zeitraum keine Bewegungen detektiert, kann eingegriffen werden. Zum Beispiel in Form von Kameraaktivierung um zu kontrollieren, ob mit der Person alles in Ordnung ist.”

PIEK: Mit anderen Worten, wir können sicher und gut im eigenen Zuhause alt werden, denn Sensoren und künstliche Intelligenz wachen über uns. Das Gefühl von Big Brother und permanenter Überwachung macht mich aber nervös. Wie sieht es denn mit der Wahrung der Privatsphäre aus?“ Dr. Gabriels: „Wir haben das Bundesdatenschutzgesetz. Aber das große Problem liegt bei den Unternehmen, die deine Daten haben. Wie können die Unternehmen den Schutz deiner Daten garantieren? Wenn das Unternehmen gehackt wird, sind deine Daten öffentlich. In der Corona Situation sehen wir wie schwierig es ist auf europäischem Niveau Vereinbarungen zu treffen. Denke nur an die App, die zeigt, ob jemand geimpft ist oder nicht. Eine ethische Frage wird es immer geben. Bist du bereit wegen deiner Gesundheit deine Daten anzugeben und gibst damit einen Teil deiner Privatsphäre auf? Und was oder wieviel gibst du dann auf?”

PIEK: Datenschutz ist ein immer größeres Thema. Wenn ich sehe wen wir bei PIEK ausbilden, dann sind es alles Personen, die für große internationale Unternehmen arbeiten. Sie entwickeln und produzieren Geräte, die in allen Sektoren verwendet werden. Wie siehst du das als ethischer Philosoph? Worauf muss ein Ingenieur, der mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz und Robotern beauftragt ist, heutzutage achten? Dr. Gabriels: „Das Schlüsselwort ist Interdisziplinarität. Von Anfang an ethische Fragen stellen. Digitalisierung hat einen sehr großen Einfluss auf uns alle und es kann auch schiefgehen. Twitter hat mit der Funktion „retweet“ Menschen eine Stimme gegeben alles und jeden zu kommentieren. Die Folge ist Polarisierung und Hexenjagd. Man sollte immer die Risiken im Auge haben und alles mit einer interdisziplinären Brille sehen.”

PIEK: Man sieht bei Unternehmen wie Google und Facebook Mitarbeiter, die in Bewegung kommen oder sogar kündigen, da sie mit der Firmenpolitik nicht mehr einverstanden sind. Ist es denkbar, dass dies auch bei anderen Unternehmen passiert? Dr. Gabriels: „Den Menschen geht es um ihren Ruf. Sie wollen keine Rufschädigung. Es gibt Unstimmigkeiten und Widersprüche. Google wollte nach China und gab die Zustimmung Websites mit dem Thema Menschenrechte für chinesische Nutzer nicht sichtbar zu machen. Mitarbeiter von Google machten das nicht mit und sind gegangen, da sie es als Verletzung der Ethik sahen. Das Thema Ethik wird einen immer größeren Einfluss auf unser Zusammenleben haben.“

PIEK dankt Dr. Gabriels für das ausführliche Gespräch über Ethik und die elektronische Verbindungsindustrie.